Karl Bauer:  Die Tiefe des Seins

Dr. Renée Gadsden

Ein kunst- und kulturhistorischer Blick auf den Künstler aus Anlass seines 120. Geburtstags

„Gleichzeitig mit dem irreparablen Zusammenbruch der Tradition (Anm.: der handwerklichen Tradition des vorigen [19.] Jahrhunderts) veränderte sich die gesamte Kunstszene: Man wollte in der Kunst frei sein und vergaß, dass Freiheit auch Einsamkeit bedeutet. Heute hat die Entwicklung einen Punkt erreicht, an dem es scheinbar keine Fixpunkte mehr gibt. Man hat oft den Eindruck eines Kampfes von jedem gegen jeden“. In dem Aufsatz „Gedanken zur Lage der Kunst in unserer Zeit“ aus dem Jahr 1975 beschreibt Karl Bauer (geboren 1905 in Graz – gestorben 1993 in Klagenfurt) seine Sicht auf die Kunst in einer reifen Phase seines Lebens. Im Gegensatz zu hochgradig abstrakten Malern oder Malern, die in erster Linie emotionale Zustände ausdrücken oder die Aufmerksamkeit auf das Medium der Farbe selbst lenken wollen, verwendet Bauer die Farbe auf die Art und Weise, die im Kanon der Kunstgeschichte am beliebtesten ist: als Werkzeug zur visuellen Beschreibung. Farbe ist für Karl Bauer das, was Worte für einen Schriftsteller oder Noten für einen Musiker sind.

Das ist verständlich, denn Musik und Text (Poesie, Philosophie) waren sein ganzes Leben lang wichtig. Seine Mutter hatte einen Flügel und sang im Kirchenchor. Sein Vater spielte die Bassgeige, sein älterer Bruder die Violine. Wenn die Familie „Hausmusik“ machte, zog es Karl Bauer vor, sie von seinem Platz unter dem Klavier aus zu genießen, zuzuhören und nachzudenken. Sein ganzes Leben lang hegte Bauer eine intensive Liebe zur Musik und hörte Musik, während er malte. Schon als Student an der Akademie der bildenden Künste in Wien spielte die Musik in seinem Kreis von Kommilitonen eine wichtige Rolle. Bauer kaufte sich ein Grammophon, um nach Belieben Musik hören zu können. Er hatte eine Vorliebe für den Komponisten Hugo Wolf (1860-1903) und die Gedichte von Eduard Mörike (1804-1875), die Wolf vertonte. Karl Bauer freute sich, dass er die Bekanntschaft von Hugo Wolfs Schwester machen konnte.

Seine Bewunderung für Mörike war so groß, dass der Name seiner Tochter, der Kunsthistorikerin Rotraud Bauer (1941-2006), auf die Ballade „Rotraut, schöne Rotraut“ (1838) zurückgeht. Eduard Mörike schrieb: „Wie heißt König Ringangs Töchterlein? Rotraut, Schön-Rotraut“. Mörike lebte in der Zeit des Übergangs vom Klassizismus und der Romantik zum bürgerlichen Biedermeier. In seinen Texten geht es um das alltägliche Leben. Er beschäftigte sich mit der Umgebung, in der er lebte, dem Bodensee und Schwaben. In seinen Gedichten beschrieb er eine Idylle. Aber er ging über das Alltägliche hinaus und schuf Orplid, seine eigene literarische Fantasiewelt. Eine Welt, in der es noch Götter und Dämonen, die Natur und die Geborgenheit einer Welt gab, die er durch Fortschritt, technische Entwicklungen und politische Neuerungen verloren hatte. Karl Bauer ist dem großen deutschen Dichter, den er bewunderte, nicht unähnlich.

Er ließ sich von der Landschaft (Fig. 1) inspirieren, in der er lebte, in Kärnten, und nutzte vor allem die Menschen in seinem Freundes- und Familienkreis als Modelle, die er seinen Figuren zugrunde legte. Viele seiner stärksten und beständigsten Werke schuf er auch in einer „anderen“ Welt, die aber nicht seiner Fantasie entsprang. Karl Bauers bekannteste Kunstwerke waren Auftragsarbeiten für die katholische Kirche. Seine Akteure sind Christus und Maria, Engel, Heilige und heilige Personen des Christentums (Fig. 2).

Seine Leinwände sind ruhige Vignetten, fast wie gemalte Schnappschüsse mit weicher Schärfe, die beim Betrachter tief sitzende Emotionen und Gedanken auslösen. Weder seine Porträts noch seine Landschaften sind geradlinige Darstellungen ihrer Motive. Seine Figuren zeichnen sich dadurch aus, dass sie in Farbblöcken (Fig. 3) aufgebaut sind.

Man hat das Gefühl, dass der Künstler die Farbflächen auf der Leinwand mit der Bedachtheit eines Komponisten platziert, der Noten für eine Partitur schreibt. Jeder Farbbereich hat eine Eigenständigkeit, die darauf besteht, einzeln wahrgenommen zu werden. Die Farbflächen prägen sich dem Auge in vielen Fällen ein, als wären sie Bausteine einer architektonischen Konstruktion. Diese Farben, die als individuelle Einheiten präsentiert werden, fügen sich dennoch zu einem harmonischen Ganzen zusammen. Doch erst die Erfahrung des Betrachtens, die Zeit, die verwendet wird, um die verschiedenen Teile der Leinwand vor seinem geistigen Auge zusammenzusetzen, ist die schwer fassbare und vielleicht entscheidende Qualität der Arbeit von Karl Bauer. Jede Leinwand ist in der Zeit aufgehoben. Mit der Kunst von Karl Bauer zu interagieren bedeutet, sich auf eine Reise zu begeben, so wie man von erhabenen musikalischen Melodien oder melodiösen Texten mitgenommen wird. Der Begriff der Zeit ist eines von Karl Bauers zentralen Interessen.

Karl Bauer wurde 1905 geboren und gehört damit zu einer Gruppe, die der amerikanische Journalist Tom Brokaw als „greatest generation“ bezeichnet. Als Kind lebte Bauer in der Monarchie Österreich-Ungarn. Es wurde gesagt, dass die Sonne über dem Britischen Empire nie untergeht. Ob im Ausland mit Königin Victoria oder zu Hause mit Kaiser Franz Joseph: die langlebigen europäischen Monarchien galten als Symbole für Stabilität und Kontinuität. In seiner Kindheit wurde diese gesellschaftliche Sicherheit mit einer Gewalt erschüttert, die fast unerträglich gewesen sein muss. Franz Ferdinand, der Thronfolger der Habsburger, wird ermordet, der Kaiser bricht den Ersten Weltkrieg vom Zaun und stirbt 1916 während des Krieges. Die Bevölkerung Europas wird dezimiert, zum ersten Mal in der Geschichte der Menschheit regnete der Tod vom Himmel, als Flugzeuge Bomben auf militärische und zivile Ziele warfen. Über zehn Millionen Soldaten starben und insgesamt 20 bis 40 Millionen Menschen sowie über acht Millionen Pferde wurden im Ersten Weltkrieg getötet. Als Karl Bauer 13 Jahre alt war, war die Welt, in die er hineingeboren wurde, entweder zerstört oder bis zur Unkenntlichkeit verunstaltet. Die Nachwirkungen des Krieges ließen Kärnten mit unsicheren Grenzen zurück, und der österreichisch-slowenische Konflikt, wobei Slowenien Teil des Königreichs der Serben, Kroaten und Slowenen war, bedeutete, dass es in der Umgebung, in der Karl Bauer lebte, keine Entmilitarisierung gab.

Eine der beliebtesten Anekdoten, die über Bauer als jungen Künstler erzählt werden, ist, dass er im Alter von vierzehn Jahren einen Zeichenwettbewerb gewann. Im Klagenfurter Künstlerhaus fand eine Ausstellung von Zeichnungen aus der Mittelstufe statt, und die Jury bestand aus den Mitgliedern der Vereine. Sein Preis war ein Skizzenbuch mit verschiedenen Papiersorten. Dies war Karl Bauers erste Ausstellung in diesem Gebäude. Dieses Gebäude und diese Organisation wurden zu einem der wichtigsten Brennpunkte in seinem Leben. Diese Ereignisse fanden um 1919 statt.

1925 zog Bauer nach Wien, um an der Akademie der bildenden Künste in Wien zu studieren (Fig. 4). Anscheinend waren die Professoren nicht so interessant, aber der Umgang mit den Kommilitonen war kreativ bereichernd, und es war eine fruchtbare Zeit in Karl Bauers Leben. 1929 erlangte er die Lehrbefähigung für die Mittel- und Oberstufe und unterrichtete von 1930-34 in einer Schule in der Diefenbachgasse im 15. Bezirk. Bauer hielt während dieser Zeit engen Kontakt zu seiner Heimatstadt und wurde 1932 Mitglied des Klagenfurter Kunstvereins. Das Künstlerhaus Klagenfurt ist eines der schönsten Jugendstilgebäude Österreichs, ein kleines, aber wunderbar proportioniertes Gebäude in einer schönen Grünanlage namens Goethepark, nicht weit von der zentralen Kirche der Stadt (der Klagenfurter Stadtpfarrkirche) und der Kapuzinerkirche und dem Kapuzinerkloster entfernt. Bauer war viele Jahre lang der Vizepräsident des Vereins und über Jahrzehnte hinweg einer seiner stärksten Befürworter. Die Künstlerin Christine de Pauli (geb. 1946), die ebenfalls Mitglied des Vereins ist, betrachtet Karl Bauer als einen ihrer Mentoren. Sie gibt an, dass sich ihre eigene energische Aktivität im Interesse des Vereins zum Teil an Karl Bauer orientiert hat.

Sein Hauptinteresse in der Kunst gilt dem Transport von Gefühlen, Stimmungen und Atmosphäre. Das macht Karl Bauers Arbeit so reizvoll und komplex. Die Bilder, die er uns präsentiert, ziehen einen in ihren Bann, denn sie haben eine zeitlose Bildflachheit, die an die byzantinische Kunst erinnert. Die Gesichter und Landschaften, die er entwirft, stellen uns mit ihrer konsequenten Vertikalität und der Verweigerung der Perspektive, die wir seit dem italienischen Humanisten Leon Battista Alberti in seinem Werk De pictura (1435/36) als Standard in der Kunst ansehen, vor ein Rätsel und man könnte fast sagen, vor eine Ablehnung. Karl Bauer lässt uns nicht so einfach in sein künstlerisches Universum eintreten.

Er ist ein Maler, der die Betrachtenden dazu einlädt, seine Werke immer wieder anzusehen (Fig. 5), so wie man Gedichte oder Literatur, die man liebt, immer wieder liest oder musikalische Kompositionen, die man liebt, immer wieder anhört. Auf den ersten Blick sind die Werke von Karl Bauer wie eine verschlossene Tür. Die Auseinandersetzung mit den eigenen Erinnerungen und persönlichen Bezügen sind der Schlüssel, der die Tür aufschließt und Zugang zu Karl Bauers kreativer Kosmogonie gewährt. Der Schriftsteller und Philologe Alois Brandstetter (geb. 1938) sagte über den Künstler: „Für mich ist Karl Bauer Kärntens, ja Österreichs, Rouault, ein „Überzeugter“, der die Tradition, die lange Tradition einer Kunst (…) überzeugend fortgeführt (…) – und sollte sie wirklich abgerissen oder beendet sein, dann würde ich sagen: vollendet hat“. Brandstetter hat die Ähnlichkeiten zwischen Karl Bauer und dem französischen Künstler treffend herausgearbeitet. Der Pariser Georges Rouault (1871-1958) war in wichtigen Kreisen seiner Zeit aktiv und einer der Gründer des Salon d’Automne zur Förderung junger und unbekannter Künstler. Er war als Künstler tätig, der viele verschiedene Materialien verwendete, sich aber nicht in eine bestimmte Kategorie eines Stils oder Trends einordnen ließ. Rouault schuf auch viele innovative Werke der religiösen Kunst.

Obwohl die Kunst des 20. Jahrhunderts eine große Vielfalt an Werken mit sehr unterschiedlichen Haltungen und Einstellungen umfasst, ist ein Großteil von ihr ziemlich emotionslos – auch wenn diese emotionale Distanz oft durch die leuchtenden Farben oder übertriebenen Gesten, die wir mit ihr verbinden, verschleiert wird. Karl Bauers in sich geschlossene Bilder stellen uns vor ein herausforderndes Paradoxon. Sie sind meist statisch, der Bildaufbau formal und vor allem frontal (Fig. 6).

Dennoch liegt das Vergnügen, das man an Bauers Kunst hat, in der Tiefe der Emotionalität, die wir beim Betrachten der Werke erleben können. Im Gegensatz zu den Werken der meisten kommerziell erfolgreichen und/oder bekannten Künstler muss dieser Genuss jedoch aus dem Inneren des Betrachters kommen. Der Betrachter ist das letzte Teil des Puzzles, das für das Verständnis und die Wertschätzung der Kunst von Karl Bauer notwendig ist. Bauer war ein Mann mit vielen Geheimnissen, und die Auseinandersetzung mit seiner Kunst ist ein bisschen wie die Arbeit eines Archäologen der Seele. Man muss seine eigenen Tiefen und Erinnerungsschichten durchforsten, um Wege zu finden, die Werke, die er geschaffen hat, in ihrer vollen Pracht zu erwecken. Die Kunst von Karl Bauer ist eine Kreuzung aus dem Rätsel der Sphinx und dem Zahlenschloss eines Schatzkellers. Seine Kunst ist unprätentiös ambivalent. Die Worte des deutschen Kunsthistorikers Dr. Friedhelm Häring (über einen anderen Künstler) treffen jedoch ebenso auf das Werk von Karl Bauer zu: „ In diesem Vorbeizug der flüchtigen Zeit bleiben seine Kunstwerke gültig, sie sind ein Mund der Wahrheit “. Anlässlich der Ausstellung zu Karl Bauers 100. Geburtstag im Jahr 2005 schrieb Franz Kaindl über Karl Bauer, dass er kein „moderner“ Maler ist, aber dennoch ein zeitgenössischer. Er rebelliert nicht gegen gesellschaftliche Normen, aber er versucht, sich gegen die Banalität der Alltagskultur aufzulehnen und sucht in seiner Arbeit immer nach Authentizität. Laut Kaindl trägt sein Werk keine naturalistischen, postimpressionistischen oder expressionistischen Züge, aber Karl Bauer ist in seiner Farbpalette ungeheuer ausdrucksstark. Er ist kein konventioneller Traditionalist, aber er steht in der großen Tradition der österreichischen Malerei. Was ihn mehr als alles andere berührt, ist der spirituelle Aspekt der Kunst.

Menschen haben unterschiedliche Identitäten, und jeder Einzelne hat wechselnde Identitäten, die er oder sie selbst wählt, je nach den verschiedenen Lebenssituationen und den übernommenen Rollen. In der westlichen Gesellschaft Mitte der 2020er Jahre wird diese Art der Wahl mehr als gefördert. Es wird fast erwartet, dass man seine Identität mehrmals wechselt – wahllos und willkürlich. Identität wird nicht als feste Größe angesehen. Sie ist fließend, muss entworfen und geformt werden und spiegelt den kulturellen, sozialen und historischen Kontext wider. Schauen wir uns einige von Karl Bauers Lebensentscheidungen aus heutiger Sicht an. Zwischen 1935 und 1938 war Karl Bauer als freischaffender Maler und Grafiker zwischen Wien und Klagenfurt beschäftigt und arbeitete auch als Illustrator für Zeitungen in München. Im März 1938 erfolgte der Anschluss Österreichs an Nazideutschland. Im selben Jahr heiratete Karl Bauer in München Leopoldine Koci aus Wien. Am 17. Mai 1938 beantragte er die Aufnahme in die Partei, die ihm gewährt und auf den 1. Mai rückdatiert wurde. Von 1938 bis 1942 unterrichtete Karl Bauer an einer Oberschule in Klosterneuburg. Was uns heute als exklusiver Vorort nördlich von Wien im Bundesland Niederösterreich bekannt ist, wurde im Rahmen des nationalsozialistischen Expansionsprojekts „Groß-Wien“ zum 26. Bezirk. Nach dem Krieg kehrte Klosterneuburg in seinen früheren Zuständigkeitsbereich zurück und Wien hatte wieder 23 Bezirke.

Das erste von zwei Kindern der Familie, Rotraud, die Kunsthistorikerin wurde, wurde 1941 geboren. Sohn Herbert, geboren 1955, wurde später Berufsoffizier. Der damalige Lehrer Karl Bauer wurde 1942 zum Kriegsdienst eingezogen, verlegte als Angehöriger einer Versorgungskompanie nach Süditalien und geriet in Tunesien in amerikanische Kriegsgefangenschaft. Er verbrachte drei Jahre im Kriegsgefangenenlager Camp Fort Sam Houston, San Antonio, Texas. In dieser Zeit konnte er seine zeichnerischen Fähigkeiten nutzen, indem er Porträts von den Wachen und Mitgefangenen anfertigte (Fig. 7) und mit seinen alten maltechnischen Problemen experimentierte. Er unterrichtete als Zeichenlehrer in der Lagerschule und es entstanden Materialproben (Fig. 8), von denen noch einige erhalten sind.  In dieser Zeit illustrierte er auch Szenen in einer Taschenbibel, die durch die Kriegshilfe der Nationalen Katholischen Wohlfahrtskonferenz, New York, ausgegeben worden war und fertigte zarte und feine Illustrationen von Szenen an den Rändern des Buches an (Fig. 9), die er zum Betrachten und Nachdenken nutzte. Im Auftrag der Lagerleitung entstand auch eine Serie sämtlicher amerikanischer Präsidenten.

Nach seiner Rückkehr nach Österreich im Jahr 1946 war Karl Bauer erneut damit konfrontiert, eine neue Welt für sich schaffen zu müssen. Während der Kriegsgefangenschaft in den USA endete der Krieg, der der Grund für seine Gefangenschaft war. Am 27. April 1945 war die Zweite Republik Österreich ausgerufen worden. Kaum vierzig Jahre alt, hatte Bauer bereits zwei Weltkriege, Tod, Zerstörung, Chaos, Gefangenschaft und Zusammenbruch überlebt. Um trotz der Erfahrungen, die er in den ersten vier Jahrzehnten seines Lebens gemacht hatte, erfolgreich zu sein, waren gute Strategien nötig. Um das aktuelle Leben der Zukunft zu gestalten, war Geschichtsbewusstsein gefragt. Karl Bauer kehrte nach Klagenfurt zu Frau und Kind zurück und brauchte ein neues Verständnis für gesellschaftliche Zusammenhänge und Machtstrukturen. In seinem Streben nach Autonomie und Freiheit nutzte Karl Bauer seine Fähigkeiten als Künstler und seine tiefe Menschenkenntnis, die er durch seine Erfahrungen gewonnen hatte, um ein Leben und Werk als unabhängiger Künstler zu schaffen. Seine Reise durch sein eigenes „Herz der Finsternis“, wie es der Schriftsteller Joseph Conrad beschrieb, führte über den Dienst an der künstlerischen Gemeinschaft, den er in seiner Tätigkeit für Kunstorganisationen leistete, und andererseits über den Dienst an den höchsten Idealen der Menschheit, wie sie in seinen Aufträgen für die katholische Kirche zum Ausdruck kamen. Diese Reise bedeutete für Karl Bauer nicht das Verharren in einer hoffnungslosen Dunkelheit, sondern vielmehr die mutige Auseinandersetzung mit den existenziellen Fragen und der Tiefe des Seins.

Bereits seit 1932 Mitglied des Kärntner Kunstvereins, wurde Karl Bauer nach seiner Rückkehr nach Klagenfurt zu einem absoluten Verfechter der Organisation. Er nahm an Ausstellungen teil, verbrachte Zeit im Café, als dieses ein legendärer Treffpunkt in der Klagenfurter Gesellschaftsszene war, und betreute junge Künstler. Seit der Gründung im Jahr 1949 war Karl Bauer auch langjähriges Vorstandsmitglied des Kärntner Zweigs des Berufsverbands Bildender Künstler in Österreich. Er schaffte einen Ausgleich zwischen seiner individuellen Arbeit in seinem Atelier und seinen Aktivitäten in Organisationen und Gruppen, die sich der kollektiven Förderung der Kunst in der Gesellschaft widmeten. Daher scheint es verständlich, dass Karl Bauer sich dazu hingezogen fühlte, Kunst für die Kirche zu machen, und dass diejenigen in der Kirche, die nach Künstlern suchten, in ihm den idealen Kandidaten fanden, um Szenen aus der Bibel so zu illustrieren, dass die Schönheit des Leidens und der letztendliche Triumph darüber für ein breiteres Publikum greifbar wurde. Rotraud Bauer erklärte: „Gerne hielt sich mein Vater in dieser geistigen Zwischenzone auf, die das irdische Paradies deutlich spüren und einen Hauch der Vergänglichkeit ahnen lässt. Er war sehr vertraut mit der schmerzlichen Schönheit und der erhebenden Traurigkeit dieser Welt und unseres Seins.“

Was stellt uns Karl Bauer vor? Die heutige, von sozialen Medien gesättigte Gesellschaft hat erklärt, dass die Qualität der „Authentizität“ der wichtigste Aspekt von fast allem ist, was der Öffentlichkeit präsentiert wird. In der Kunst ist der Messparameter „Qualität“ durch „Authentizität“ ersetzt worden, die Vorstellung von Exzellenz ist gewichen. Der Erfolg oder sogar der eigentliche Wert eines Kunst- oder Unterhaltungsangebots wird nicht daran gemessen, ob es schön oder ästhetisch ist, sondern daran, wie authentisch es wahrgenommen wird. Karl Bauer malte auf die kanonische Art und Weise: Öl auf Leinwand, vor seinem Arbeitsplatz auf der Staffelei stehend, im Geiste der alten Meister (Fig. 10).

Die scheinbare Einfachheit seiner Darstellungen kann den Betrachter dazu verleiten, zu vergessen, wie viel Mühe, Übung, Präzision und Liebe zum Detail in jeder Leinwand stecken. Bei seinen Aufträgen für die katholische Kirche verwendete er Mosaik und Glasfenster mit Schwarzlotmalerei (Fig. 11 und 12).

Er freute sich, mit den Handwerkern zusammenzuarbeiten, die seine Entwürfe in diesen Materialien ausführten, und so dazu beizutragen, das Wissen und die Fertigkeiten dieser künstlerischen Traditionen für künftige Generationen zu erhalten. Neben seiner Arbeit auf Gruppen- oder Gesellschaftsebene in Kunstvereinen gab er auch individuellen Kunstunterricht und Mentoring. Eine seiner erfolgreichsten Schülerinnen war Karin Bauer, die etwa 10 Jahre lang (1983 bis zu seinem Tod) in seinem Atelier privaten Kunstunterricht in Öl- und Eitemperamalerei nahm. Sie ist nicht nur promovierte Psychologin, die die meiste Zeit ihres Berufslebens für die katholische Diözese Innsbruck gearbeitet hat, sondern war auch seine Schwiegertochter und Mutter seiner einzigen Enkelin. Es ist ein Tribut an die Qualität von Karl Bauers Unterricht, der ihr half, ihre eigene künstlerische Stimme zu finden. Ihre Werke sind in fast jeder Hinsicht anders als seine. Karin Bauer malt ausdrucksstarke Farbfelder, die man fast als das Gegenteil von dem sehen könnte, was er auf der Leinwand versucht: den langsamen und mühsamen Aufbau von fast undurchdringlichen Farbschichten.

Die Enkelin Karl Bauers, Eva-Sophie, ist die Herausgeberin des vorliegenden Katalogbuches und gebar ihrerseits 2017, ebenfalls am 14. Februar, seine Urenkelin Emma-Katharina Valentina, 112 Jahre nach Karl Bauers Geburtstag am Valentinstag.

Karl Bauer überträgt seine Vision auf die Medien Malerei, Grafik, Zeichnung und Mosaik. Er schafft für uns eine Welt der reinen Vorstellungskraft, in der wir uns frei dem Genuss der nach innen gerichteten Betrachtung hingeben können. Die Welt, die er erschafft, ist nicht unschuldig, es gibt ein Gefühl des Grübelns, des Wartens oder der Vorahnung in den Szenen, die er uns präsentiert. Obwohl er ein meisterhafter Illustrator ist, der Physiognomien mit lebensechtem Realismus zeichnen kann, sind die Gesichter der Figuren in seinem reifen, charakteristischen Werk zu einer archaischen Neutralität vereinfacht, wie Zeugen, die schweigend erfahren, aber nicht urteilen.

Die Figuren warten entweder darauf, etwas zu enthüllen oder enthüllt zu werden. Sie haben die Energie eines schlafenden Orakels (Fig. 13). Die Monumentalität der menschlichen Gestalten, die Karl Bauer wiedergibt, verleiht ihnen Eigenschaften, die man mit den Merkmalen von Landschaften, mit Bäumen oder Felsformationen assoziiert. So sagte Kunsthistoriker und ehemaliger Direktor des Belvedere Museums in Wien Gerbert Frodl über sein Werk: „Die Einzigartigkeit und Stärke von Karl Bauers Kunst lag in seiner Fähigkeit, Einflüsse und Erinnerungen – aus Wien und München – sowie sein Wissen über aktuelle Entwicklungen in der Kunst mit seinem eigenen hohen Intellekt und den spezifischen Merkmalen der Kärntner Landschaft – einschließlich der lebendigen Maltradition der Region – zu einer konzentrierten Form von reiner Malerei und geistiger Tiefe zu verbinden“.

Karl Bauer zählt zu den eigenständigen figurativen Künstlern des 20. Jahrhunderts, die jenseits von Stilströmungen eine unverwechselbare Bildsprache entwickelt haben. Seine Werke zeichnen sich durch meditative Ruhe, flächige Kompositionen und eine tiefe spirituelle Dimension aus. Farbe ist für ihn Ausdrucksträger, nicht Illusion; Perspektive wird zugunsten von Frontalität und Zeitlosigkeit bewusst vermieden. Besonders in seinem sakralen Werk erreicht Bauer eine eindringliche Verbindung von Menschenbild und Transzendenz. Seine Kunst fordert stille Betrachtung – nicht als Rückzug, sondern als Einladung zur inneren Gegenwart.

Karl Bauer arbeitete hart in dieser Welt und war gleichzeitig frei von dieser Welt. Wenn man zwei katastrophale Kriege mit einer halbwegs gesunden Psyche überlebt hat, kann man sich kaum jemals wieder zu sehr an die Dinge dieser Welt binden. Karl Bauer beweist mit seinem Lebenswerk, dass er sich bewusst ist, wie sehr die Welt ein zweischneidiges Schwert sein kann. Seine Kunst gibt uns die Möglichkeit, gemeinsam mit ihm unsere Erinnerungen, Ängste und stillen Hoffnungen zu erforschen. Die Beschäftigung mit dem Leben und den Werken Karl Bauers und das Nachdenken über seine Kunst ist für uns Betrachter eine immer wieder neue Gelegenheit, uns selbst und unsere Glaubenssysteme in Frage zu stellen, während wir nach der schwer fassbaren, endgültigen Antwort auf alle unsere Fragen suchen. Es liegt die Größe von Karl Bauer darin, dass er uns deutlich zeigt, dass es keine endgültige Antwort gibt. Doch durch Kunst, Musik, Poesie, den Dienst an der Familie, an Freunden, an gemeinschaftlichen Organisationen und den Dienst an einem höheren, spirituellen Ideal in Christus zeigt uns Karl Bauer, dass das Gefüge der Zeit durchbrochen, die Einsamkeit überwunden und individuelle Barmherzigkeit und Gnade erlangt werden kann.

© Dr. Renée Gadsden, 2025

Vienna, April 27, 2025